Erneut stehen womöglich Automobil-Hersteller und Behörden vor einem Skandal. Gemäß einem Bericht des ICCT seien bei rund 150 Dieselmodellen die Stickoxidwerte derart hoch, dass in den Fahrzeugen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist.
Erneut sind Hersteller und Behörden fast acht Jahre nach Bekanntwerden des Dieselskandals in Erklärungsnot. Grund dafür ist ein aktueller Bericht des International Council on Clean Transportation Europe (ICCT Europe). Gemäß dem Report zeigen 77 Prozent der Dieselfahrzeuge mit den Abgasnormen Euro 5, 6b und 6c auffällig hohe Stickoxid-Emissionen auf. Des ICCT zufolge sollen bei fast 150 Modellen die Werte so hoch sein, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine nicht zulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde. Demzufolge bezog sich ICCT in seinem Bericht auf mehr als 200 Dieselfahrzeuge mit der Euro-5- und Euro-6-Zulassung. Von diesen wurden zwischen 2009 und 2019 rund 53 Millionen Fahrzeuge europaweit verkauft. Überwiegend handelt es sich dabei um Fahrzeuge des VW-Konzerns.
Bereits 2015 sei ICCT an der Aufdeckung des Abgasskandals beteiligt gewesen. Nach der Untersuchung eines VW Passat und eines VW Jetta wurden Stickoxidwerte ermittelt, die deutlich über den zulässigen Grenzwerten lagen. Dies führte zur Enthüllung eines Industrieskandals, dem Dieselskandal. Die Hersteller versteckten eine Betrugssoftware in den Motoren. Die Software erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand steh,t und reduziert daraufhin den Abgasausstoß. Somit wurde in den Tests vorgegeben, dass die Autos weniger Schadstoffe ausstoßen würden, als es tatsächlich der Fall war. Nun ergibt sich aus dem aktuellen Report die Vermutung, dass die Abschalt-Einrichtungen weitaus öfter in die Motoren verbaut wurden als bisher bekannt.
Auf Nachfrage will sich Volkswagen allerdings noch nicht äußern. Grund dafür sei, dass Volkswagen der Zustand der Fahrzeuge als auch die Umstände, unter denen die Messungen vorgenommen wurden, nicht vertraut sind. Dazu führt VW aus, dass sämtliche VW-Fahrzeuge den rechtlichen Schwellenwert der Abgasnormen, die zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Zulassung in Kraft waren, erfüllen
Die Untersuchungen des ICCT ergaben bei 150 Fahrzeugmodellen ungewöhnlich hohe Emissionswerte. Diese erreichten das Drei- bis Vierfache des offiziellen Grenzwerts. Bei nahezu 50 Fahrzeugmodellen wird mittels eines Thermofensters das Abgasreinigungs-System bei niedrigen Umgebungs-Temperaturen deaktiviert. Wenn die erkannte Außentemperatur zwischen ca. 20°C und 30 °C liegt, aktiviert die Motorsteuerungs-Software die Abgasreinigung. Bei Temperaturen abseits dieses Bereichs findet keine verminderte Reinigung der Abgase innerhalb des Motors statt. Somit stößt das Fahrzeug die Stickoxide, die im Motor produziert wurden, ungefiltert an die Außenluft aus.
Am 21. März 2023 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch solche Thermofenster als unzulässig eingestuft. Demnach hat er dem Besitzer eines solchen Dieselfahrzeugs in einem Streit mit Mercedes-Benz Recht zugesprochen. Somit müssen die Automobil-Hersteller den Kunden, soweit diese im Fahrzeug solche Abschalt-Einrichtungen verbaut haben, grundlegend Schadensersatz zahlen. Bisher hatten die Kläger lediglich eine Chance auf Schadensersatz, wenn sie vom Hersteller vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht wurden. Dies bezog sich vor dem Urteil des EuGH nur auf den VW-Dieselmotor EA189, mit dem der Dieselskandal im Jahre 2015 eingeleitet wurde.
Gemäß dem Bericht übersteigt der Opel Insignia mit einem Zwei-Liter-Motor den vorgeschriebenen Grenzwert um mehr als das Siebenfache. Ebenfalls überschreiten auch vier Modelle von Renault-Nissan, zu welcher ebenso die Marke Dacia zählt, den Grenzwert um das Sechsfache, wie das ICCT angibt. Auch die Euro-5-Diesel Fahrzeuge von VW, wie der Passat, Tiguan und Skoda Octavia überschreiten die Vorgaben um mehr als das Vierfache. Die Hersteller selbst wenden jedoch auf Nachfrage ein, sich stets an die Vorschriften gehalten zu haben.
Die Renault Gruppe macht darauf aufmerksam, dass ihre Fahrzeuge der Euro-5 und Euro-6b Generation stets in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und Regelungen zugelassen wurden. Dabei wurden die Motoren auf Basis des aktuellen Wissens und Standes der Technik entwickelt und zugelassen. Volkswagen teilt mit, dass keines der drei genannten Fahrzeuge in der Tabelle über eine unerlaubte Abschalteinrichtung verfügt. In der Auswertung erscheinende Automobilhersteller wie Peugeot und Ford haben auf eine Anfrage des Handelsblatts keine Rückmeldung gegeben.
Es bleibt unklar, warum die zuständigen Behörden trotz der klaren Faktenlage keine Maßnahmen ergriffen haben, um die betroffenen Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen. Peter Mock, Geschäftsführer von ICCT Europa zufolge, sind die zuständigen Behörden in Deutschland sowie in weiteren EU-Mitgliedstaaten aufgrund der immensen Anzahl an Fahrzeugen über Jahre hinweg untätig geblieben. Dazu führt er aus, dass von 53 Millionen verkauften Dieselfahrzeugen noch 13 Millionen Fahrzeuge zugelassen sind, die besonders hohe Emissionen aufweisen. Wird die Zulassung der Autos widerrufen, ist eine Entschädigung der Eigentümer erforderlich. Da es sich bei den Fahrzeugen teilweise um mehr als zehn Jahre alte Modelle handelt, nimmt das Problem für die Behörden und Hersteller allmählich ab. Denn altersbedingt verschwinden immer mehr der Autos von Europas Straßen.
Mit den gesammelten Daten erhofft sich Mock nun, etwas Druck auf Europa und auf die Behörden der Mitgliedstaaten aufzubauen. Grund dafür sei, dass in Europa aufgrund der Dieselaffäre, im Vergleich zu Amerika, wenig passiert sei. Die Erkenntnisse des ICCT bauen also weiter Druck auf. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat den ICCT-Report am Mittwochabend zum Anlass genommen, um weitere rechtliche Schritte gegen das Kraftfahrt-Bundesamt bekannt zu geben. Der Deutschen Umwelthilfe zufolge sind knapp 8 Millionen Diesel-PKW in Deutschland betroffen, wobei die Hersteller hingegen von deutlich geringeren Zahlen ausgehen.
Derzeit sind beim BGH 2000 Revisionen und Nichtzulassungs-Beschwerden anhängig. Aufgrund des EuGH-Verfahrens, in dem nun eine Entscheidung getroffen wurde, wurde die Mehrheit der Revisionen und Nichtzulassungs-Beschwerden vorübergehend zurückgestellt. Die neuen Vorgaben aus Luxemburg müssen von den Richtern in Deutschland nun umgesetzt werden. Im Mai 2023 wird der BGH über die Konsequenzen des EuGH-Urteils bezüglich Schadenersatz-Ansprüchen verhandeln.
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