09.12.2022 Arbeitsrecht: Trotz sexueller Belästigung keine fristlose Kündigung

Fristlose Kündigung bei sexueller Belästigung nicht zwangsläufig gerechtfertigt.

Eine unstreitige sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz rechtfertigt nicht direkt die außerordentliche fristlose Kündigung. Auch hier gelten Abmahnung und ordentliche Kündigung als mildere Mittel.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm folgt im Urteil vom 23.02.2022, 10 Sa 492/21 weiter der Entscheidung des BAG aus 2014 (2 AZR 651/13).

In dem dem Landesarbeitsgerichts vorliegenden Fall wurde einem lei­ten­den Ar­beit­neh­mer vor­ge­wor­fen, drei Mit­ar­bei­te­rin­nen mehr­fach be­drän­gend, an­ge­starrt und berührt zu haben. Die durch den Arbeitgeber daraufhin ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung lag dem Gericht im Rahmen einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers vor.

Das zunächst zuständige AG Bocholt ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zur vor­läu­fi­gen Wei­ter­be­schäf­ti­gung mangels Ab­mah­nung. Aus Sicht des Arbeitsgerichts Bocholt hätte der Arbeitgeber die behaupteten Pflichtverstöße zunächst prüfen müssen und dem Mitarbeiter die Möglichkeit zur Stellungnahme geben müssen. Zudem hätten die Behauptungen bewiesen werden müssen, um eine Abmahnung zu rechtfertigen. Dem Mitarbeiter sollen nach Ansicht der Gerichte auch in Fällen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz die Chancen zur Besserung durch Abmahnung gegeben werden. Inwieweit dies jedoch mit dem Opferschutz vereinbar ist, ließ das Gericht unbeantwortet.

Der Arbeitgeber legte gegen das Urteil des AG Bocholt Berufung ein. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm bestätigte die Unwirksamkeit der Kündigung. Anders als das AG Bocholt wies das LAG Hamm jedoch den Weiterbeschäftigungsantrag ab und löste auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis auf. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung verurteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm den Arbeitgeber zur Zahlung einer hohen Abfindung. Das LAG Hamm bewertete die Kündigungen ebenso wie das Arbeitsgericht als unverhältnismäßig hart und damit als unwirksam.

Dabei stellt das LAG im Einklang mit ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts klar, dass es für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung nicht darauf ankommt, ob die belästigte Person ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck bringt. Unabhängig von der Annahme einer sexuellen Belästigung stellt diese allein keinen absoluten Kündigungsgrund dar.

Dem LAG ist zuzustimmen. Auch sexuelle Belästigungen stellen keinen absoluten Kündigungsgrund dar, insbesondere wenn sie sich dem Beweis entziehen. Daher ist auch in Belästigungsfällen eine vorherige Abmahnung anzudenken. Die eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses ist nach dem Prognoseprinzip angemessen zu beseitigen.

Zur Abfindungshöhe ist anzumerken, dass das LAG die Höhe der auf den Arbeitgeber zukommenden Verzugslohnansprüche berücksichtigt hat. Die auf den ersten Blick hohe Abfindungssumme entspricht bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 12.000,00 EUR brutto und einer Beschäftigungsdauer von 7 Jahren lediglich einem Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Jedoch erfolgt eine Abfindung anders als das Bruttoentgelt ohne Gegenleistungspflicht in Form der Arbeitsleistung.


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