BAG folgt Vorgaben des EuGH. Nun gilt auch in Deutschland: Urlaub verjährt nur wenn der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist.
Der Urlaub oder genau der Erholungsurlaub wird nach Vorgaben des EuGH nun weitreichender geschützt.
Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20 = PM Nr. 48/22 des BAG) schützen die Richterinnen und Richter den Erholungsurlaub von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor der Verjährung.
Nach Beschluss des BAG verjährt Urlaub nur, nach vorherigem Hinweis des Arbeitgebers und tatsächlicher Möglichkeit. Das heißt ihr Arbeitgeber muss ihnen rechtzeitig die Auskunft über den Verfall ihres Urlaubs geben und ihnen die Inanspruchnahme tatsächlich möglich machen. Sollte dies unterbleiben verjährt der Urlaubsanspruch nicht und kann in Anspruch genommen werden oder ausbezahlt werden.
Es liegt also eine Ausnahme der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren, §§ 195, 199 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB.
Die Entscheidung des BAG hat durch die breite der Betroffenen erhebliche Auswirkungen.
Das BAG setzt mit dieser Rechtsprechung lediglich die zwingend wirkenden Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 22.9.2022, Az.: C-120/21) um.
Die Entscheidungen der BAG und EuGH beruhen auf einer Klage einer Steuerfachangestellten vor dem Arbeitsgericht Solingen. Die Klägerin hatte in den Jahren von 1996 bis 2017 ihren Urlaubsanspruch nie vollständig aufgebraucht. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Klägerin ihre verbliebenden Urlaubstage geltend. Sie verlangte Abgeltung gegen Geld. Das erstinstanzlich zuständige AG Solingen wies den Anspruch zurück. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf sprach der Steuerfachangestellten wiederum eine Summe von EUR 17.376,64 brutto als Urlaubsabgeltung für die Jahre 2013 bis 2016 zu.
Nach den unterschiedlichen Rechtsauffassungen von Arbeitsgericht Solingen und Landesarbeitsgericht Düsseldorf rief der Arbeitgeber der Klägerin das BAG an (Urt. v. 21.2.2020, Az.: 10 Sa 180/19).
Die Streitfrage, die dem BAG vorlag, war die Erhaltung von Urlaubansprüchen bei mangelnder Hinweispflicht des Arbeitgebers. Nach dem in Deutschland geltenden Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) verfällt Urlaub, der im aktuellen Kalenderjahr nicht genommen wird. Also mit Ende des Kalenderjahres aber spätestens zum 31.3. des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 BUrlG).
Auch danach ist die Auszahlung von noch bestehenden Urlaubsansprüchen bestimmt sich. Nach § 7 Abs. 4 BurlG werden ausstehenden Urlaubsansprüche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausbezahlt. Da nach § 7 Abs. 3 BUrlG Urlaubsansprüche spätestens zum 31.03. des Folgejahres verjähren waren bisher von der Auszahlung lediglich Urlaubsansprüche der Vorjahre geltend zu machen.
Auf europarechtlicher Ebene ist das Recht auf bezahlten Jahresurlaub auf europarechtlich höchster Ebene der Grundrechtecharter verankert. Durch die europarechtliche Vorgabe des Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta, sind deutsche Urlaubsansprüche im Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben umzusetzen.
Zum Umfang der Hinweispflicht des Arbeitgebers hatte der EuGH bereits 2018 (Urt. v. 6.11.2018, Az.: C-684/16) festgestellt, dass die Hinweispflicht des Arbeitgebers auch die Möglichkeit zur tatsächlichen Umsetzung umfasse. Das BAG setzte auch diese Rechtsprechung des EuGH um indem es die arbeitgeberseitige Hinweis- und Aufklärungspflicht als Obliegenheit eines Arbeitgebers schuf.
Da der Arbeitgeber der Klägerin mangels tatsächlicher Ermöglichung der Inanspruchnahme des Urlaubsanspruchs seiner ihm obliegenden Hinweispflicht nicht nachkam verjährte der Urlaubsanspruch der Klägerin nicht nach den Maßstäben des BurlG.
Zu Begründung führte dazu der EuGH auf, dass das Interesse des Arbeitgebers nicht mit jahrelangen Urlaubsansprüchen und der Abgeltung in Geld nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht das Interesse des Arbeitnehmers überwiegt. Denn der Arbeitgeber hat durch die mangelnde Hinweispflicht den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den Urlaub nicht tatsächlich wahrnehmen zu können. Der Arbeitgeber wurde insoweit durch die Arbeitsleistung bereits privilegiert und genießt bei der Abgeltung keinen weiterreichenden Schutz als der Arbeitnehmer.
Insoweit steht das Verjährungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn es zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führe.
Nach Ausführungen des BAG unterfällt der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub weiterhin der gesetzlichen dreijährigen Verjährung.
Nach neuer Ansicht des BAG beginnt die Verjährung erst mit Ende Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert hat und der Arbeitnehmer den Anspruch trotz tatsächlicher Möglichkeit nicht in Anspruch nimmt.
Haben ehemalige Beschäftigte die Möglichkeit gegen ihre ehemaligen Arbeitsgeber einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung?
Maßgeblich dafür ist ob und welche Anforderungen das BAG an die Geltendmachung alter Ansprüche stellt. Dazu gibt es bisher keine Stellungnahme des BAG.
Die Entscheidung des BAG könnte mitunter dazu führen, dass Unternehmen, die bisher die nationalen Vorgaben ihrer Urlaubsobliegenheiten erfüllt haben, nun durch ausgeschiedene Beschäftigte auf Abgeltung älterer Urlaubsansprüche verklagt werden.
Auch ist durch das BAG zu klären, ob die arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen Unternehmen vor einer Inanspruchnahme ehemaliger Mitarbeiter schützen kann.
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